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Im Gespräch mit Sabine Scheer

Alle Bilder © Sabine Scheer

Sabine Scheer, spezialisiert auf Still Life, Food und Animals. In ihrem Düsseldorfer Studio fotografiert sie oft remote, rund um die Uhr, in allen Zeitzonen. Sie hat zwei Deutsche Riesen Studio-Kaninchen und seit 2023 wird sie von Bernstein & Andriulli (B&A Reps) vertreten.

Du arbeitest seit 2003 als freiberufliche Fotografin, kannst Du Dich noch an Deinen ersten bezahlten Fotojob erinnern?

Bereits während meiner Ausbildung zur Fotografin und meines Foto-/Filmdesign-Studiums habe ich bezahlte Auftragsarbeiten fotografiert, doch der offizielle Startschuss war 2003 mit meiner Studiogründung in Düsseldorf. Mein erster „richtiger“ Job waren inszenierte Food Keyvisuals für Kikkoman, die so erfolgreich waren, dass die Kampagne über Jahre hinweg erweitert wurde. Die ersten Motive der Kampagne fotografierte ich noch auf 4×5“ Diafilm, bis ich schließlich Agentur und Kunde von einer Umsetzung mit digitalem Rückteil überzeugen konnte.

Deine Schwerpunkte liegen heute in den Bereichen Still Life, Food und Animals. War das schon immer so und was reizt Dich speziell daran?

Tatsächlich war das schon immer so. „Still Life“ wegen der Präzision, „Food“ wegen eines persönlichen Ticks: ich bin Saarländerin und im Saarland spielt Essen die Hauptrolle. Alles dreht sich nur ums Essen, ganz nach dem Motto „Hauptsach‘ gudd gess! Geschafft hamma schnell.“ Und „Animals“, weil Tiere so echt vor der Kamera sind und sich niemals verstellen. Zunächst klingt die Kombination von Still Life, Food und Animals haarsträubend wild und so völlig ohne Richtung. Aber mich reizen bei allen dreien nicht nur die Details und Texturen, sondern auch die Vielfalt und die Abwechslung, besonders wenn sich die drei Bereiche überlagern. Und schon immer setze ich alle drei Bereiche im Studio um, wo ich volle Kontrolle über die Inszenierung und das Licht habe.

Wie würdest Du selbst Deinen fotografischen Stil in nur wenigen Worten beschreiben?

Scharf. Bunt. Präzise. Wenn ich über meinen Stil spreche, sage ich immer: „Meine Welt ist nicht unscharf, sondern immer im Fokus. Und meine Welt ist in Farbe und niemals schwarz-weiß.“ Meine Fotografie ist konzeptionell und ich denke in Serien, nicht in Einzelbildern. Für mich ist ein perfektes Ergebnis, im Idealfall ohne Bildbearbeitung, ganz wichtig. Und dazu konzentriere ich mich auf Details und Licht. Ich bin besessen von Details und noch mehr Details, mit noch mehr Textur. Wegen der ganz eigenen, individuellen und dreidimensionalen Lichtcharakteristik meiner Bilder werde ich oft „Fairy of Light“ oder „Dr. Blitz“ genannt.

Was inspiriert Dich?

Alles. Es reichen kleine Zufälle, Situationsfragmente oder Gegenstände und ich fange an mir Geschichten dazu auszudenken. Die besten Bildideen entstehen dann beim Zähneputzen und Schwimmen auf der 50m-Bahn.

Wenn Zeit, Geld und alle anderen Faktoren einmal überhaupt keine Rolle spielen würden: Was wäre Dein persönliches Traum-Fotoprojekt?

Ich mache nur Traum-Fotoprojekte. Immer. Und natürlich traumhafte Fotos 😉 Da ich meistens im Studio fotografiere, kann ich mir unabhängig von Tageszeit und Tageslicht meine Traumwelten schaffen und alles so inszenieren, dass es passt. Ich finde es insbesondere spannend aus einfachen, alltäglichen Dingen kostenbewusst und mit einfachen Mitteln Bildwelten zu schaffen. Bei großen Produktionen ist diese Herangehensweise extrem hilfreich.

Was zeichnet für Dich ein wirklich herausragendes Foto aus?

Ein Motiv jenseits der rein abbildenden Oberflächlichkeit. Ein Motiv, das mich überrascht und fesselt. Wenn es dann noch Humor und Aussage hat – Perfekt!

Welches war Deine erste Kamera und womit fotografierst Du heute?

Meine erste eigene Kamera war eine manuelle, analoge Minolta Spiegelreflex, die mir mein all time hero und Ausbilder Ralf Grömminger zum Start meiner Fotografenausbildung verkaufte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich eine Mappe ohne ein einziges Foto, sondern nur mit gemalten Bildern und Zeichnungen. Und keine Ahnung von Fototechnik. Heute bin ich ein absoluter Technikfreak und je nach Aufgabenstellung setze ich die verschiedensten Systeme ein. So sehr ich die schnelle Nikon Z9 für Tiere und die Phase One XF mit dickem, fettem digitalem Rückteil auch mag, es sind nur Werkzeuge. Die eigentlichen Bilder entstehen im Kopf. Die Frage ist vielmehr: braucht man heute eigentlich noch eine Kamera?

Einige Fotograf:innen klagen, dass der Markt für Fotografie weiter auf dem absteigenden Ast sei und es immer weniger gute Aufträge gäbe, die angemessen bezahlt würden. Was sind Deine Erfahrungen und Gedanken dazu?

Das ist alles eine Frage der Einstellung und der Sichtweise. Ich sage immer ganz platt „Von nix kommt nix“. Der Markt für Fotografie ist nicht auf dem absteigenden Ast, sondern er wandelt sich und wird erweitert, schon alleine durch andere Technikanforderungen. Viele Shoots laufen remote ab, und auch wenn die Auftraggebenden nicht am Set sind, so müssen sie durch perfekte Kommunikation in alle Abläufe mit einbezogen werden. Dazu kommen neue und zusätzliche Aufgabenstellungen. Darauf muss man sich einlassen können und sich wie ein Chamäleon an neue Situationen anpassen, d.h. in Bewegung bleiben, indem man sich weiterentwickelt und immer wieder Neues ausprobiert. Wach und innovativ bleiben. Einfach machen. Weiterkämpfen!

Wie bereitest Du Dich auf einen bevorstehenden Job und/oder ein freies Projekt vor?

Perfekte Vorbereitung ist für mich essentiell. Im Vorfeld plane ich alles bis ins allerkleinste Detail und bin für alle Eventualitäten gewappnet. Neben Plan A gibt’s stets einen Plan B und einen Plan C. Am Vortag erfolgt dann die Generalprobe mit Licht- und Stylingtest, bei dem das erste Set fertig gebaut, eingerichtet und beleuchtet wird. Der optimale Ausgangspunkt, damit sich mein Team und ich beim eigentlichen Shoot ganz entspannt aufs Wesentliche konzentrieren können. Nachdem das kontrollierbare Grundgerüst für eine reibungslose Produktion im Vorfeld geschaffen ist, können Spontanität, Zufälle, Überraschungen und Ungeplantes beim Shoot ohne Risiko passieren. Am Set herrschen dann gute Laune und ein stressfreier Ablauf.

Welchen Stellenwert hat die digitale Nachbearbeitung für Dich?

Digitale Nachbearbeitung ist bei der Kombination von computergeneriertem und fotografischem Ausgangsmaterial ein tolles Werkzeug. Allerdings überzeugt mich das Endresultat nur, wenn es nicht übertrieben künstlich wirkt und die Nachbearbeitung mit gutem Geschmack eingesetzt wird. Handelt es sich hingegen um rein fotografisches Bildmaterial, so mag ich keine Motive, die aus unzähligen Bildteilen und Einzelschüssen zusammen composed werden müssen, um über die schlechte fotografische Umsetzung hinwegzutäuschen. Stattdessen bevorzuge ich echte und ehrliche Bilder, die weitestgehend ohne Photoshopping und aufwändige Nachbearbeitung auskommen. Daher versuche ich stets Motive im One-Shot zu fotografieren und möglichst nah am Endresultat zu landen, ohne mich auf den bekannten Satz zu verlassen „Ah, das machen wir später in der Post! …“.

Der Markt fordert inzwischen immer mehr auch „Bewegtbild“ und einige Fotograf:innen beschäftigen sich auch intensiv mit dem Thema. Inwieweit ist das für Dich interessant/relevant?

Ich beschäftige mich ebenfalls damit und finde es extrem spannend, nicht nur in statischen Standbildern, sondern in Bildsequenzen zu denken und über Bewegungsabläufe Geschichten zu erzählen. Für mich ist Bewegtbild ein tolles weiteres Medium um mich auszutoben, und Still Life wird plötzlich zum Leben erweckt! Außerdem sind die Möglichkeiten der Retusche bei Film viel eingeschränkter, sodass eigentlich alles bereits vor der Aufnahme stimmen muss. Das passt perfekt zu meiner Arbeitsweise und der detaillierten Planung im Vorfeld.

Wie wichtig sind Dir freie Arbeiten generell und gibt es aktuell Projekte, von denen Du uns berichten kannst?

„Freie Arbeiten sind die Kür!“ Zitat: Heiko Preller. Und er hatte und hat damit so Recht! Es sind nicht die Beweisbilder der fertigen Jobs, die eine Mappe spannend machen, sondern es sind die freien Arbeiten, die zeigen, wie man tickt; die neuen Sichtweisen, die Überraschungen, auf die keiner vorbereitet ist. Und wenn am Ende aus den freien Arbeiten neue Jobs entstehen, die wie freie Arbeiten aussehen, dann ist alles richtig gelaufen.

Aktuell bereite ich mich gerade auf meinen neuen Lehrauftrag im Fachbereich Gestaltung an der Fachhochschule Bielefeld vor, und ich habe den Studierenden das Thema „unsichtbar. und MEHR LICHT!“ gestellt. Wir setzen uns damit auseinander, wie im Studio nicht Sichtbares wie Geräusche, Geruch und Geschmack sichtbar gemacht werden können und ich bin schon gespannt auf die Bildergebnisse, auch auf meine eigenen …

Was ist Deiner Meinung nach ausschlaggebend, um in der Fotografiebranche erfolgreich zu sein?

Kreativität und die Fähigkeit der technischen Umsetzung sind Grundvoraussetzungen. Mindestens genauso wichtig sind Hartnäckigkeit, Unkompliziertheit, Teamgeist, Socializing, Mut, Leidenschaft, eine „I can do it! -Einstellung“, Durchhaltevermögen, Fleiß. Wie gesagt: Von nix kommt nix.

Auf welche Deiner Arbeiten bist Du persönlich besonders stolz? Oder etwas einfacher gefragt: Welche Deiner Arbeiten schaust Du Dir selbst immer wieder gerne an?

Ganz besonders mag ich immer noch meine Maus (vgl. „Mouse in cheesy crispy dreamland“ aus BLICKFANG, Band 11,5) – eigentlich mag ich aber alle meine Bilder, denn in jedem einzelnen Motiv steckt ganz viel Einsatz und Besessenheit zum Detail. Trotzdem würde ich sie nicht immer und immer wieder anschauen wollen oder an die Wand hängen. Stattdessen bleiben die Wände weiß und lassen Freiraum für ganz viele neue Bildideen.

Warum sollte man Dich buchen?

Weil ich so toll Licht setzen kann. Weil ich bei Produktionen immer wach, professionell und gut gelaunt bin. Weil ich für jede Aufgabenstellung eine Lösung parat habe und alle Ideen umsetzen kann. Weil die Produktionen mit mir immer perfekt vorbereitet sind und wunderbar glatt ablaufen, ganz nach dem Motto „failure is not an option“. Es läuft. Immer. Und die Bildergebnisse sprechen für sich, auch ohne digitale Nachbearbeitung.

Gibt es abschließend noch eine spannende Anekdote aus einer Deiner Produktionen, die Du uns verraten kannst?

Bei einem Aufenthalt in New York begegnete mir am Abend vor meinem Rückflug auf dem Parkettboden im Fotostudio das PERFEKTE Fotomodell: eine Periplaneta americana, ein Prachtexemplar einer Amerikanischen Kakerlake, wie ich sie in Deutschland niemals hätte finden können. Kurzentschlossen bat ich sie, sich von ihren anderen Kakerlaken-Buddies zu verabschieden und mit mir nach Deutschland zu kommen, um ihre Karriere als Fotomodell zu starten. Behutsam verpackte ich sie in eine kleine Dose, die ich in meinen Koffer versteckte. Dann der Schock am Düsseldorfer Flughafen: Der Koffer war weg und traf nicht am Gepäckband ein! Stattdessen musste ich ihn am Zollschalter entgegennehmen und er war mit einem großen Aufkleber versehen, dass der Koffer vom Zoll geöffnet und überprüft wurde. Ich dachte nur: „NEIN! Der Zoll hat meine Kakerlake!!!“ – aber sie war noch da! Sie wartete friedlich im himmelblauen Seidenpapier in der kleinen Dose. Riesige Erleichterung! Und so wurde die Kakerlake in der Fotostrecke „Roach Motel“ zum Star!

Portraitfoto: Roland Michels
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