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Im Gespräch mit Stephie Braun

Alle Bilder © Stephie Braun

Stephie Braun wusste bereits mit 14, dass sie Fotografin werden möchte. Seitdem legte sie die Kamera nie wieder aus der Hand. 2019 bekam sie den Talent Award „VOGUE Photo“ für aufstrebende Modefotografinnen verliehen. Heute arbeitet sie als freie Werbefotografin und Video Directress.

Wie würdest Du selbst Deinen fotografischen Stil in nur wenigen Worten beschreiben?

Direkt. Puristisch.Verspielt. Das, was sich vermeintlich zu widersprechen scheint (puristisch & verspielt) findet in meinem Stil meiner Meinung nach in einer schönen Symbiose zusammen. Ich denke gestalterisch gerne um die Ecke, verzichte dabei an manchen Stellen auf Schnickschnack, um mich dann aufs Wesentliche zu konzentrieren. Es bleibt jedoch stets Raum zum experimentieren, da ich es liebe, ungesehene Bilder zu finden.

Deine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Fashion, Beauty und Lifestyle – weshalb eigentlich? Was reizt Dich daran besonders?

Meine frühsten Erinnerungen an das fotografische Medium sind ein Mix aus dem Durchblättern der Werbeanzeigen und Editorials in den Ausgaben der deutschen VOGUE, dem Besuchen der allerersten tumblr & flickr Seiten, die es jemals im Internet gab, und die Tradition, dass mein Papa mich bereits als Kind und vor allem auch später als Jugendliche oftmals fotografierte. All die Emotionen von damals, die Bewunderung, den Spaß, die Hingabe, die Liebe fürs Design, spüre ich heute wieder, sobald ich ein Fashion-Set betrete. Da ein modischer Ansatz auch im Lifestyle Sektor immer wichtiger wird, weil die Konsument:innen sich so mehr und mehr über das Erscheinungsbild von Modellen mit Marken und Brands identifizieren, genieße ich es, als Modefotografin auch mal für eine Bier- oder Fußball-Kampagne gebucht zu werden. Auch wenn es hierbei nicht vorwiegend um die Vermarktung von Textil geht, erzählt die Art und Weise meiner persönlichen fotografischen Inszenierung eine Rolle, die vom modischen inspiriert ist. Diese Verbindung liebe ich!

Wenn Zeit, Geld und alle anderen Faktoren einmal überhaupt keine Rolle spielen würden: Was wäre Dein persönliches Traum-Fotoprojekt?

Ich denke, dass ich mich vor allem beim Thema Casting und Set Design/Location und Styling austoben würde. Wie cool wäre es zum Beispiel, den inklusivsten, diversesten Cast zusammen zu stellen, den es jemals gab? In meiner Auffassung dürfte dann z.B. meine Oma neben Gigi Hadid stehen und der syrische, Mitte 30jährige Papa, den ich am Alexanderplatz in Berlin noch schnell gestreetcasted habe, steht neben Barack Obama. Alle wären in den teuersten Designer Klamotten gestyled und würden sich an einem Ort befinden, der einem alternativen Planeten gleicht (genau kann ich das leider so spontan nicht benennen). Ich fände es einfach unfassbar schön, wenn innerhalb eines Bildes die manchmal so engen, sozialen Grenzen, die uns als Menschen auch oftmals emotional voneinander trennen, aufgehoben werden würden. Ich würde hoffen, dass sich zumindest für den Moment des Fotografierens einmal alle von einander gesehen fühlen. Ich würde also ein politisches Gruppenbild der Menschheit schießen, wenn Zeit und Geld keine Rolle spielen würden.

Was zeichnet für Dich ein wirklich herausragendes Foto aus?

Ein herausragendes Foto ist für mich persönlich ein ungesehenes Foto. Ein Bild, mit einem eigenen Anspruch, das meine Augen nicht langweilt oder zu sehr an andere Bilder erinnert. Wenn man es in der heutigen Zeit schafft, als Fotograf:in ein Bild zu kreieren, das andere länger als 1 Sekunde lang auf Social Media anschauen, dann hat man schon einiges erreicht, finde ich. Wie man das schafft? Ich denke, dass man sich mit der Tradition des Mediums beschäftigen sollte. Das Wissen, über das, was bereits da ist, geht für mich von bekannten Kampagnen bis hin in die zeitgenössische Fotografie rein. Anschließend sollte man selbst los gehen und Fotos machen und schauen, wie sich das eigene mit dem Gesehenen mischt. Und irgendwann, wenn man nicht aufhört und immer weiter fotografiert, schafft man es irgendwann, ein herausragendes Foto zu schießen – das vor einem selbst noch keiner gemacht hat.

Welches war Deine erste Kamera und womit fotografierst Du heute?

Leider weiß ich nicht mehr, was meine erste Kamera war, dafür fotografiere ich schon zu lange und mit zu vielen unterschiedlichen Kameras. Heute fotografiere ich digital hauptsächlich mit Canon (5D Mark iV). Digitales Mittelformat von Fuji begeistert mich allerdings auch (gfx 100s). Analoges Mittelformat schieße ich am allerliebsten mit der Fuji GA 645. Aber auch Kleinbild fotografiere ich analog gerne. Dann am liebsten mit der LEICA Minilux in schwarz. Durch meine Polaroid Ambassador Partnership habe ich auch, egal wo ich bin, immer eine Polaroid Kamera in meiner Kameratasche. Erst kürzlich habe ich ein komplettes Editorial mit der Polaroid GO für das ZEIT Mann Magazin geshootet.

Was inspiriert Dich?

Mich inspirieren Dinge und Situationen, die ich liebe. Dass man nur mit dem Herzen gut sieht, klingt mega abgedroschen. Aber gerade innerhalb meiner Arbeit als Fotografin darf ich immer wieder feststellen, dass es sich bewahrheitet. Ich liebe zum Beispiel, Menschen kennenzulernen. Entweder neu oder noch besser. Ich finde es unfassbar spannend, dass jeder Mensch anders aussieht, jeder Mensch anders denkt und jeder Mensch anders fühlt. Jeder Mensch hat seine ganz eigene Lebensrealität, aus der er oder sie heraus so lebt, wie er oder sie es für richtig empfindet. Allein in dieser Anschauung stecken so viele Bilder, die ich innerhalb meiner freien Arbeiten direkt mit der Kamera aufsuche und bei Auftragsarbeiten bedingt wahrnehme, da hier ja vorgefertigte Konzepte ins Spiel kommen. Aber ein kleiner, philosophischer und psychologischer Spielraum steckt in jedem Konzept 🙂 Das inspiriert mich sehr. Ich bin aber auch schon immer sehr interessiert, was popkulturelle Strömungen jeglicher Art angeht. Von Musik, Mode über Literatur bis hin zur Politik konsumiere ich gerne zeitgenössische Themen, die meine Generation bewegt.

Einige Fotograf:innen klagen, dass der Markt für Fotografie weiter auf dem absteigenden Ast sei und es immer weniger gute Aufträge gäbe, die angemessen bezahlt würden. Was sind Deine Erfahrungen und Gedanken dazu?

In Zeiten von Social Media bzw. des Internets habe ich persönlich viel mehr das Gefühl, dass uns Fotograf:innen täglich neue Jobs, Bühnen und Flächen geschenkt werden, die wir mit unserem Talent und unserer Hingabe bespielen dürfen. Wichtig hierbei ist vielleicht auch die Definition von ‚angemessen bezahlt‘. Das sieht ja für jeden anders aus. Ich denke, dass viele Menschen sich leichter tun würden, wenn sie sich mehr mit ihrer eigenen Beziehung zum Thema Geld & Geld verdienen auseinander setzen würden. Dazu gehören z.B. Ansätze wie ‚work smart, not hard‘ oder Investments. Ich bin sehr dankbar, dass ich innerhalb meines Agenturverhältnisses bei BoschtoBanrap so tolle Ansprechpersonen habe, die sich Zeit für mich nehmen, wenn es ums Money Mindset geht.

Wie bereitest Du Dich auf einen bevorstehenden Job und/oder ein freies Projekt vor?

Wenn es um Auftragsarbeiten geht, frage ich mich zunächst, mit wem ich gerne an dem Job arbeiten wollen würde. Je nach Anfrage versuche ich die passenden Personen zu finden und besetze mein eigenes Team (Digi Expert, Light Expert, etc.) und, falls vom Client gewünscht, auch Positionen wie Styling, H&M, Production Agency. Hierbei orientiere ich mich natürlich am Konzept der Kreativagentur, aber auch auch an der Geschichte und den Werten des Clients, für den das Projekt umgesetzt wird. Bei freien Projekten recherchiere ich oftmals mehrere Wochen lang Inhalte (Storyline), bis ich überhaupt einmal anfange, Moods zu suchen. Sobald ich ein schönes Moodbilder-Archiv habe, gestalte ich ein Moodboard und sende es an Creatives, mit denen ich schon Immer einmal arbeiten wollte oder die ich sehr für ihre freie, kreative Energy schätze. Es folgen Zoom Calls, die einem intensiven, kreativen Austausch einfordern. Hierbei ist mir das Äußern der eigenen Meinung und eine gewisse Transparenz sehr wichtig. Danach geht dann alles in die Umsetzung/Organisation.

Welchen Stellenwert hat die digitale Nachbearbeitung für Dich?

Das Erstellen eines Lookmasters, also eine Bild-Looks, der nach dem Fotografieren auf die .raw Dateien gelegt wird, und unter anderem die Farbigkeit einer Fotografie bestimmt, liegt mir sehr am Herzen. Für mich ist das tatsächlich auch der einzige Moment, der nur mir und meinen Fotos gebührt – davor und danach sind dann wieder andere Menschen involviert. Ich liebe es, mich ganz alleine zu Fragen: wie ziehe ich mein Bild am besten an? 🙂 Nachdem ich den passenden Look definiert habe und der Client ihn ebenfalls abgesegnet hat, gebe ich das Bild an ein Retouching Studio meines Vertrauens weiter.

Der Markt fordert inzwischen immer mehr „Bewegtbild“ und einige Fotografen*innen beschäftigen sich auch intensiv mit dem Thema. Inwieweit ist das für Dich interessant/relevant?

Ich schätze es sehr, dass ich neben der EINEN Fotografie auch über die Abfolge mehrer Bildern, also den Video Film oder das „Bewegtbild“ nachdenken darf. Ich nehme es tatsächlich sehr getrennt von der Fotografie wahr, was für mich persönlich schon immer organisch und nicht komisch war. Das gilt nicht für alle Fotograf:innen, weshalb ich mich hier sehr glücklich schätze. Ich werde immer wieder mal als DoP aber auch als Video Directress gebucht und freue mich stets darüber.

Du hast im letzten Jahr Dein erstes Fotobuch „Opaque“ im Kerber Verlag veröffentlicht und zeigst darin Arbeiten, die zwischen 2009 und 2019 entstanden sind. Magst Du uns ein wenig mehr über das Buch erzählen?

Das Erstellen von Fotobüchern würde ich als eine meiner Leidenschaften bezeichnen. Irgendwie fühlt es sich auch manchmal an wie ein Hobby, da ich ja freiwillig länger Zeit mit meinem Archiv verbringe, als eigentlich nötig. Mit OPAQUE habe ich es geschafft, einen Einblick in meine freie künstlerische Arbeit zu geben, die, anders als meine kommerzielle Arbeit, ganz andere Dinge, Orte und Menschen mit der Kamera aufsucht. Ein weiterer großer Unterschied ist, dass ich über meine freie künstlerische Praktik auch immer schreibe. Ich hinterfrage also die Bilder, die ich mache und sehe. Das Bildmaterial innerhalb von OPAQUE wird ebenfalls von reflektiven Texten und auch einer Kurzgeschichte begleitet, die zu Anfang und zum Ende des Buches zu finden ist. Für mich ist diese Archivarbeit mehr als nur ein Projekt – es ist eine Reflektion meiner Entwicklung als Fotografin und als Mensch. Hier verbindet sich also mein persönliches und mein berufliches Ich. Die größte Herausforderung für OPAQUE waren wahrscheinlich die Auswirkungen der Corona-Pandemie, die sich negativ auf die Produktion und die Struktur der Buchverlagswelt ausgewirkt haben. Das hat uns (das Verlagsteam und mich) Geld und Zeit gekostet. Eigentlich sollte das Buch nicht 3 Jahre nach meinem Studienabschluss erscheinen, sondern ein Jahr später. Denn Ende 2020 hatte ich den Verlagsvertrag bereits in der Tasche. Im Nachhinein denke ich, dass alles so gekommen ist, wie es sein sollte, aber zwischendurch war ich manchmal traurig, dass der ganze Prozess länger gedauert hat als ursprünglich gedacht. Umso erfüllender war es dann, als im Juli 2022 so viele Menschen zu meiner Book Release Party erschienen sind. Einen Einblick des Events bekommt man auf meiner Website unter ‚Diary‘.

Wie wichtig sind Dir denn generell freie Arbeiten und gibt es neue Projekte an denen Du aktuell arbeitest?

Freie Arbeiten sind mir sehr wichtig. Arbeite ich zu lange nur kommerziell, meldet sich ganz automatisch ein Anteil in mir, der radikaler, unabhängiger und direkter fotografieren möchte, als es in der Werbung möglich ist. Aber genauso wäre es für mich andersrum undenkbar, rein frei zu arbeiten. Dafür liebe ich den Kommerz, Trends, Konstruktionen und Sets einfach viel zu sehr!

Was ist Deiner Meinung nach ausschlaggebend, um in der Fotografiebranche erfolgreich zu sein?

Authentisch, hingebungsvoll und demütig zu sein, hat mich für mein bisheriges Alter weit gebracht. Ich kann mir vorstellen, dass dies auch für andere funktionieren könnte. Nichtsdestotrotz hat es aber schon auch immer mit der eigenen Persönlichkeit zu tun. Ich finde, dass man Erfolg nicht verallgemeinern sollte – nicht dass wir noch jemanden davon abhalten, es nicht zu probieren. Ich denke jedoch, was für alle gleich gilt, ist es, einen langen Atem zu haben. Wenn mal was nicht klappt, darf man nicht aufhören. Und wenn mal was klappt, sollte man, nachdem man Erfolge bewusst gefeiert hat, nicht zu viel erwarten. Ehrgeiz gepaart mit Residenz sind vermutlich zwei gute Kernkompetenzen, neben der eigenen Kreativität und dem eigenen Talent, um sich am Markt durchzusetzen.

Auf welche Deiner Arbeiten bist Du persönlich besonders stolz? Oder vielleicht etwas einfacher gefragt: Welche Deiner Arbeiten schaust Du Dir selbst immer wieder gerne an?

Dass ich mich getraut habe, mit 24 Jahren eine Verlagsdeal bei einem der renommiertesten, deutschen Kunstbuchverlagshäuser zu unterschreiben, finde ich schon selber ein wenig krass cool, haha. Dass es das Buch mittlerweile nicht nur in Deutschland sondern auch im Ausland wie z.B. Japan und Amerika zu kaufen gibt, flashed mich. All das spüre ich immer in dem Moment, wo ich an dem Buch vorbei gehe oder es in der Hand halte. Oder es einem anderen Menschen in die Hand drücke Das hallt nach und tut gut. Die Strecke, mit der ich damals den Talent Award der deutschen VOGUE gewonnen habe, schaue ich mir aber auch immer gerne an. Sie ist auf meiner Website zu sehen. Im Nachhinein hat der Award mir viele Türen geöffnet, wofür ich Christiane Arp, der damaligen Chefredakteurin der Deutschen VOGUE, und ihrem Team für immer dankbar sein werden.

Hast du Unterschiede oder Veränderungen in der Art und Weise festgestellt, wie Fotografinnen in der Modebranche angesprochen werden?

Meine Beobachtungen, wie sich das Berufsbild einer Fotografin von dem eines männlichen Fotografen unterscheidet, betrafen nie ausschließlich die Modebranche. Vielmehr empfand ich es in der künstlerischen Fotografie als einschüchternd, dass es viel mehr männliche Helden am Fotografenhimmel gab als weibliche. Ich hörte viel mehr Vorträge über männliche Positionen als über weibliche. Das liegt auch daran, dass leider viele Frauen nach ihrer Ausbildung einen sehr schweren Start in die Selbstständigkeit als Fotografin haben – das zeigen gerade Studien in Deutschland. Ich wollte hier immer ein Vorbild sein, deshalb habe ich auf Instagram in meinen Stories immer transparent geteilt, wie sich meine Karriere aufbaut. Auch in Interviews und Podcasts erwähne ich gerne, dass sich insbesondere Fotografinnen jederzeit an mich wenden können, wenn sie Fragen haben oder vor Herausforderungen stehen. Mittlerweile gibt es auch in Deutschland Fotoverbände, die sich ausschließlich an Frauen richten – ich bin zum Beispiel Mitglied bei Herspective. Wir tauschen uns aus, organisieren Mappentermine mit Art BuyerInnen und kämpfen gemeinsam für mehr Sichtbarkeit in der Branche. Letztendlich liegt es an uns – unabhängig von unserem Geschlecht – wie viel wir uns zutrauen und wie hoch wir unsere Ziele stecken.

Was macht die weibliche Perspektive auf Situationen so besonders?

Die bewusste Einbeziehung des weiblichen Blicks in die Fotografie ist sinnvoll, weil unser Blick bisher eher vom klassischen (weißen) männlichen Blick geprägt ist. Das ist im Film genauso offensichtlich wie in der Fotografie und meiner Meinung nach einfach unnötig. Durch die Einbeziehung des nicht-männlichen Blicks erwarte ich ungesehene Bilder, ungesehene Situationen und Frische für die Augen. Mehr Sichtbarkeit für unterrepräsentierte Blicke bedeutet für mich mehr Neuheit, mehr Themen, mehr Wert. Indem ich mich für den weiblichen und nicht männlich gelesenen Blick einsetze, setze ich mich gleichzeitig für alle anderen Blicke ein, die nicht dem klassisch männlichen entsprechen. Ich würde mich freuen, hierzu noch mehr Menschen zu inspirieren.

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